Sonntag, 5. April 2009

Und jetzt nochmal ernsthaft


Die ganze Nummer ist natürlich auch ein riesigier Touristenmagnet. Dennoch betreiben die Bocerones, wie man die Malagener umgangssprachlich nennt, die Sache nicht ohne einen gewissen Ernst. Ein "gewisser" Ernst deshalb, weil - soweit ich das überschauen kann - es viel mit dem südamerikanischen Carneval gemeinsam hat. Man findet sich in den "hermandades", Bruderschaften zusammen, ich glaube, man baut oder dekoriert dort diese riesigen Monstranzen, "tronos" genannt, man übt das Tragen der Dinger und auch die Choreografie. Kurz man unterwirft sich einem gemeinsamen Ziel und freut sich wie die Schneekönige, wenn man das Gelernte vorzeigen darf.
Es ist in der Tat beeindruckend, wenn die Prozession, begleitet von herrlich lauter und vor allem allzugenaue Notentreue verachtender Musik ankommt. Die vermummten Gestalten der "nazarenos", der Weihrauch, die Musik, die aufwändigen Figuren und Darstellungen der Passion, das muss vor allem in früheren Jahrhunderten den Leuten mächtig zu denken und schenken gegeben haben.

Am meisten hat mich dann doch die offensichtliche Schwere der Trageaktion und der Aufwand beeindruckt, der betrieben werden muss, die Jungs, die Träger auf Kurs zu halten. Laut Wikipedia soll es sich pro "trono" um bis zu 250 Leute handeln, die das Teil tragen. Das kommt hin. Um sie herum springen Befehle brüllend zwei vermummte Einweiser, die sagen, wo's lang geht. Wobei "sagen" geschmeichelt ist, denn die Buben brüllen in einem echt zackigen Kasernenhofton um die Wette.
Anheben und absetzen des "trono" wird durch eine vorne angebrachte Glocke angekündigt. Einmal bimmeln ist absetzen, zweimal bimmeln ist die Vorbereitung zum wiederanheben, wieder einmal bimmeln ist dann anheben. Das ganze funktioniert mit maschinenartiger Präzision und ist ebenfalls beeindruckend zu beobachten. Im übrigen ist es ganz schlecht für die Ohren, wenn man neben der Glocke steht, wenn diese geschlagen wird. Da fallen einem schon mal gerne die Plomben aus den Zähnen.
Wie gesagt, das Ganze ist mehr oder weniger ein großes Schaulaufen und wohl auch ein gesellschaftliches Ding. Doch manche scheinen mehr damit zu verbinden, als nur Jux und Dollerei.
So hat er hier offensichtlich etwas arg böses getan, wofür er Büßen muss, beziehungweise will. Ich habe noch nicht herausgefunden, inwieweit das authentisch ist. Auch laufen die meisten Leute mit normalem Schuhwerk. Wenige hingegen laufen tatsächlich Barfuß.
Daneben aber ist die Veranstaltung ähnlich wie Weihnachten eine ganz große Sache für die Kinder, die hier in Spanien eine Narrenfreiheit erleben, die schon fast ans Fanatische grenzt. Die Bratzen dürfen eigentlich tun und lassen was sie wollen. Vorhin in meinem Wohnzimmer kam so ein kleiner Bazillus an, schnappt sich meine Sonnenbrille, verbiegt und ruiniert sie unter den Augen der Eltern. Eltern und Bazille lachen, meine Brille ist dahin und ich kann mich aus schierem Überlebensinstinkt nicht in der von mir als adäquat erachteten Form rächen. Sei's drum.

Kinder. Es gibt da einige Verhaltensweisen, die auffällig sind. So sind die Kinder alle darauf bedacht, den Kapuzenleuten die Hand zu geben. Auch hier habe ich noch nicht herausgefunden, warum das so ist. Ich vermute, das dient dazu, ein wenig den Horror aus der Situation zu nehmen. Nun, und so müssen die eh schon armen Büßer jedem Bratz die Hand schütteln, was sie auch mit stoischer Ruhe tun.
Ein anderes Kuriosum ist, dass die Kinder das von den Kerzen heruntertropfende Wachs, teilweise einfordernd, sammeln, und zu Kugeln formen, mit denen sie dann angeben. Wie im Erwachsenenleben scheint auch hier der zu gewinnen, der den größten Haufen macht.
Im Übrigen sind die Mützen wohl beeindruckend, aber vom Tragekomfort her eher misglückt. Sie scheinen bauartbedingt eine arge Tendenz zu haben, entweder nach vorne oder hinten herabzusinken, sodass die Kapuzenträger die ganze Zeit damit beschäftigt sind, die Teile auf dem Kopf zu behalten.
Und morgen geht das heiter weiter. Die ganze Woche. 12 Stunden am Tag.

Ich werde berichten.

Buenas noches!
El Jörch

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