Freitag, 27. März 2009

Shangri-La

Sie läuft nicht, sie "schläppelt". "Schläppeln" ist Pfälzisch für eine Art des Laufens, die man nur als "kontrolliertes Vornüberfallen" beschreiben kann. Kennzeichnend hierfür ist, dass kein Fuß den Boden verlässt. Mit anderen Worten, sie schlurft. Und sie macht die entsprechenden Geräusche: schlllrpf... schlllrpf...

"Sie" ist im übrigen geschätzte 105 Jahre alt und Bedienung, oder besser, Besitzerin des "El Mosset" in einem Ort, dessen Namen ich bisher noch nicht herausgefunden habe. Das "El Mosset" ist das, was man in Deutschland eine Kneipe nennt. Hier gibt es nichts. Keine Atmosphäre, keine Lounge, kein Entertainment. Hier gibt's nur zu Trinken. Und das günstig. Ein Bier, Amstel, 0,3, kostet 1.30 Euro. Wenn das mal kein Schnäpp(s)chen ist.

Ich sitze im "El Mosset" und trinke gerade mein zweites Amstel. Ich lese eine spanische Zeitung, die - glaub ich - "Las Provincias" heißt. Aus ihr erfahre ich, dass gestern die LKW-Fahrer den Zugang zu Valencia dicht gemacht hatten, um gegen die Krise zu demonstrieren. Zum Glück war ich gestern noch nicht da. Neben mir steht Jean Reno. Naja, er sieht aus wie Jean Reno, scheint aber nicht über dessen freundliches Naturell zu verfügen. Er fragt die Schläppelnde, wer ich sei, sie antwortet, sie wüsste das auch nicht. Jean Reno gibt Ruhe.

Ein erfolgloser Anwalt betritt das "El Mosset", ordert einen Kaffee und Kleingeld. Den Kaffee schüttet er in sich, das Kleingeld in einen Automaten, auf dem geschrieben steht, dass das Spielen an ihm zur Sucht werden kann. Das ist ihm, dem Anwalt, entweder wurscht, oder er ist deswegen so erfolglos, weil er nicht lesen kann. Ich werde es nicht herausfinden, weil ich das "El Mosset" verlasse. Ich nuschle ein "Adios" und ernte zwei (zwei??) "Hasta luego!". Ich fühle mich akzeptiert. Trotz oder wegen meiner blonden Haare.

Nun, was war das jetzt? Das war etwas, was passiert, wenn man die Größe von Städten unterschätzt und denkt, es würde alles schon nicht so wild werden. Und Valencia ist groß. Und ich habe es unterschätzt.

Doch der Reihe nach.

Von Montpellier aus gings los Richtung Spanien. Ich habe die ganze Zeit davon geredet, mich aber bisher nur in Frankreich rumgetrieben. Dem musste Einhalt geboten werden.

Nach einem erfrischend einheimischen Kaffee in Beziers hab ich mich auf die A9 eingeklinkt und bin bis Abfahrt Valencia durchgefahren.

Wie gesagt, Valencia ist recht raumgreifend. Mehr noch. Als ich neulich meinte, der Verkehr in Montpellier sei arg, wusste ich noch nicht, was in Spanien üblich ist. Die Fahrt durch Valencia war herzerfrischend, um es mal so zu nennen. Hier herrscht Abwesenheit. Und zwar die Abwesenheit von Verkehrsregeln im allgemeinen und Fahrspurkennzeichnung im besonderen. Hier gibt es Kreisverkehre mit den Ausmaßen von Fußballplätzen, aber keine Linien auf den Straßen, die einem verdeutlichen könnten, wohin zur Hölle man jetzt genau fährt. Bis zu 10 Autos stechen gleichzeitig und ungelenkt in den Kreisel. Einige wollen ihn verlassen, einige wollen weiterfahren. Wer was wann will ist schlichterdings nicht herauszufinden. Blinken, im übrigen, gilt in Spanien als Zeichen schlechten Stils und wird tunlichst vermieden. Gut. Da aber niemand weiß, wohin ihn die Reifen tragen, fährt jeder dahin, wohin er meint, dass dies seinem gewünschten Ziel am nächsten kommt. Schlecht nur, wenn man sich zwischendrin umentscheidet. Blinken ist, wie bereits erwähnt, Zeitverschwendung, Hupen ist In! Kurz gesagt, hier gewinnt der, der als erste den Ausgang des Kreisel erreicht. Oder auch der, der als erster beschließt, den Kreisel zu verlassen. Oder der, der am schnellsten den anderen schneidet. Oder am lautesten hupt. Oder ein Bus ist.

Touristen bleiben regelmäßig auf der Strecke. Wortwörtlich.

Nicht so ich. Ich habe das System durchschaut, ersetzte Blinken durch Hupen und Vorausschauendes Fahren durch Gasgeben. Außerdem fühlte ich mich als Bus. Ich bin ein deutscher Bus mit Hoheitsrechten. Die Blinklichter auf dem Dach hat man mir gestohlen, sie gelten aber trotzdem. Doch trotzallem war es mir nicht vergönnt, ins Centro Ciudad vorzudringen. Die Valensinen scheinen sehr schüchtern zu sein, was ihr Stadtzentrum betrifft. Nur so ist es zu erklären, dass sie einen nicht dahin leiten wollen. Zwar gibt es ganz am Rande der Stadt Schilder, die einem die ungefähre Richtung dahin vorgeben, aber die Beschilderung endet ebenso unvermittelt wie überraschend. Ich habe meine Taktik des sturen Geradeausfahrens weiter verfolgt und kam auch irgendwann in einer Gegend an, die sich durch massive Prunkgebäude und wohlbepflanzte Brücken kennzeichnete. Alles sehr nobel, alles darauf angelegt Touristen, die das Glück hatten dieses zu finden, zu beeindrucken. Ich war dem Centro wohl recht nahe.

Leider endete meine gewagte Tour dort. Wusst ich wohl, dass des Tages Licht zur Neige ging und ich noch über keine adäquate Residenz verfügte. Ich brauchte ein Hotel. Nur, so frug ich, wo eins finden?

Ein kleiner Exkurs hierzu: In Frankreich haben sie ein cleveres System. Das touristisch interessante Stadtzentrum heißt "Centre" oder "Centre Historique". Die Stadt sonst heißt einfach so, wie die Stadt heißt. Hotels findet man in den Gewerbegebieten, die den Stadtkern erwürgen. Man fährt also aus der Stadt heraus, sucht sich ein Gewerbegebiet, fährt eine Weile geradeaus und bucht dann nach längstens 10 Minuten ein Zimmer in einem Hotel mit Haaren im Waschbecken. Das funktioniert, das hat Klasse, das ist allgemeinverständlich. Die Spanier mögen die Franzosen nicht. Und deswegen verweigern sie sich auch deren positiven Errungenschaften, wozu auch die Hotelanordnung im stadtplanerischen Gesamtbild gehört. Ende des Exkurses.

In Valencia gibt es keine Hotels. Die Aussage ist natürlich dann richtig, wenn man eben jene Etablissements ignoriert, an deren Eingängen frühzeitig in den Ruhestand entlassene Admiräle oder Generäle der Reserve Dienst tun. Ich habe ja nur wenige Prinzipien im Leben, weil ich Prinzipien als spießig verachte, aber eines ist, nie, unter keinen Umständen, in einem Hotel einzuchecken, in welchem man mich schon vor dem Check-In mit meinem Namen begrüßt und mir einen schönene Aufenthalt wünscht. Sowas ist schlecht für den Charakter und noch schlechter für das dispophile Konto.

Somit fielen also alle Hotels im Kernbereich Valencias aus.

Allerdings gab es auch -siehe Exkurs- keine Gewerbegebiete.

Mein Krisenreaktionsprogramm trat in Kraft. Es besagt, fahre geradeaus, bis dir was einfällt oder sich was ergibt.

Und es ergab sich was. Valencia hatte ich schon lange in unbestimmter Richtung verlassen. Am linken Wegesrand dräute eine Tankstelle. Diesel 0.87 Euro. Ob des Preises konnte ich nicht widerstehen. Wusst ich doch nicht, wie lange ich noch hier im Niemandsland umeinanderfahren musste, und ob ich nicht gar gezwungen sein würde, meine Nacht im Auto mit laufendem Motor zu verbringen, darauf hoffend, dass mir niemand KO-Gas in die Lüftungsschlitze kippt, um mich dann, meine Ohnmacht ausnutzend, meiner Habseligkeiten zu berauben.

Es gab eine Tankwärterin. Trotz heftigen auf-sie-ein-gestikulierens ließ sie sich nicht davon abbringen, mir den Tank zu füllen. Ich nutzte die unverhoffte Möglichkeit persönlicher Interaktion und radebrach auf sie ein, ob sie nicht ein Hotel kenne. Natürlich, meinte Sie, Valencia sei doch voll davon und das wäre garnicht so weit weg.

WITZIG!!!

Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich aus Valencia käme, auch viele Hotels gesehen hätte, ich aber eins suchte, das "un pocco mas barrato" sei. Ich hoffte, das würde "billiger" heißen. Was es wohl auch tat, oder jedenfalls erkannte sie den nebulösen Sinn meiner Worte. Sie erklärte mir den Weg zu einem nahegelegenen Hotel. Ich konnte sowohl ihr als auch der Wegbeschreibung folgten.

Das Hotel ist klein. Sehr klein. Ich hätte es beinahe übersehen. Ich klingelte. Die Klingel sagte irgendwann zu mir "Buenasdiasfrancocomoestasdondeestaelaeropuertograciasdenadarrrrrrrt!". Ich gab mich als "Aleman" zu erkennen und der Mensch hinter der Stimme erschien und öffnete mir die bis dato verschlossene Tür. Es war ein -ich bin jetzt mal charmant- älterer Herr. Um ehrlich zu sein war es ein dermaßen älterer Herr, dass er "Deutsche" nur mit der Legion Condor in Verbindung bringen konnte. Doch er war freundlich, wir regelten das Geschäftliche, er zeigte mir das Zimmer (klein aber sauber), ich zahlte und war froh.

Aufgrund all dieser Umstände dachte ich mir, dass sich die Frage nach Wi-Fi hier wohl sofort erübrigt. Deswegen frug ich nicht. Stattdessen frug ich, ob es im Ort ein Internetcafé gäbe. Beim Wort "Internet" bildeten sich Sorgenfalten auf des Greises Haupt und ich zog die Frage sofort zurück. Stattdessen ging ich in den Ort zum Zigaretten kaufen. Im freundlichen Rauchwarengeschäft (die heißen hier Tabacos), frug ich wiederum nach einem Internetcafé. Gibt es keins, war die Antwort. Ich verließ dankend das Geschäft, bog um die nächste Ecke, ging in ein von freundlichen Indern geführtes Internetcafé, checkte meine E-Mails, skypte ein wenig mit Sandra und war zum einen hoch erfreut über den Grad der Technisierung selbst entlegener Winkel, zum anderen aber erstaunt, wie sehr selbst Einheimische ihrer eigene Stadt nicht kennen.

So ging ich dann also wieder ins Hotel. Nicht direkt. Ich erinnere an die 2 Bier im El Mosset.

Im Hotel angekommen wollte ich also nun, quasi "auf Halde", das heute Erlebte ins Word hämmern, um es dann morgen, wenn mich die Zivilisation wieder hätte, ins Netz zu stellen. Ich machte den Rechner an und jener jubiliert mir sofort entgegen "Unsecure wireless network connection detected". "Eiferbübsch" hätte der Sachse gesagt. Ich überprüfte die Verbindung mit dem Namen "Hotel Estela", die eine überragende Ähnlichkeit mit dem Namen des Hotels hatte, in dem ich mich befand. Das konnte mithin kein Zufall sein. War es auch nicht. Das Hotel verfügt zweifelsohne über Wi-Fi.

Das Glück war mit mir und ich fand den Patriarchen des Hauses rauchend an der Rezeption. Die darauf folgende, sich über mehrere Sprachen und Gebärdengymnastiken erstreckende Unterhaltung möchte und kann ich hier nicht wiedergeben. Nur so viel: Natürlich hat das Hotel Wi-Fi, warum ich nicht gefragt hätte. Allein, Benutzername und Passwort wüsste nur der Sohn. (Aha! Metusalix ist also nur der Nachtportier! Tagsüber ist Sohnemann der Chef. Gut zu wissen!) Doch ich schaute flehentlich und Papa Patriarch rief den Sohn an. Keine 20 Minuten später haben wir nicht nur herausgefunden, dass die - im übrigen falsche- Internetadresse NICHT das Passwort ist, sondern auch die richtigen Zugangsdaten. Und dann lief alles seidenweich.

Die Verbindung ist schnell und stabil.

Die Matrix hat uns. Hier und überall.

Ich konnte sogar herausfinden, wo zur Hölle ich gerade bin. Seht selbst:
http://www.hotelestelavalencia.com/

Buenas noches!

El Jörch

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